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Dennett

Daniel C. Dennett (*1942)

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Daniel Dennett ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Naturalisten. Er vertritt die These, dass Phänomene wie Bewusstsein, Rationalität und Willensfreiheit in ein wissenschaftliches Weltbild (geprägt durch Evolutionstheorie, Neurowissenschaften, KI-Forschung, u. a.) integriert werden können. Seine Position zur Willensfreiheit entwickelt er ausführlich in den beiden Büchern Elbow Room (dt. Ellbogenfreiheit) und Freedom Evolves und in zahlreichen Aufsätzen. Besonders interessant sind Dennetts Argumente für den Kompatibilismus und seine kritische Haltung gegenüber der "traditionellen" Debatte um Willensfreiheit.

Dennetts Argumente für den Kompatibilismus

Dennett kritisiert, dass in der Literatur oft von "dem Problem der Willensfreiheit" gesprochen wird, obwohl es tatsächlich viele verschiedene "Probleme der Willensfreiheit" gibt, die – so Dennett – nur lose miteinander zusammenhängen, und ganz unterschiedlich beantwortet werden müssen (Dennett 1978a, 286f.). Eines haben diese Probleme jedoch gemeinsam. In jedem Fall scheint etwas, das wir für wertvoll halten und das wir uns wünschen, durch den Determinismus (oder allgemeiner, den Naturalismus) untergraben zu werden: Rationalität, (Selbst-)Kontrolle und Autonomie, Handlungsalternativen, moralische Verantwortlichkeit und Anderes.

Dass es so scheint, als wäre der Determinismus eine Gefahr für diese Phänomene, liegt laut Dennett an bestimmten Analogien und Gedankenexperimenten ("Intuitionspumpen"; vgl. Dennett 1984, 12), die in der Diskussion um Willensfreiheit immer wieder verwendet werden. Tatsächlich zeigen diese "Intuitionspumpen" Dennett zufolge in der Regel aber nicht, was sie zeigen sollen.

a) Rationalität

Menschen haben die Fähigkeit, sich aus Gründen für eine bestimmte Handlung zu entscheiden und diese Entscheidung anschließend umzusetzen. Mit anderen Worten: Menschen verfügen über Rationalität. Natürlich gibt es Situationen, in denen unsere Rationalität uns verlässt: Beispielsweise, wenn unser Urteilsvermögen durch Angst, Wut oder andere Emotionen beeinträchtigt ist, oder wenn ein innerer Zwang oder eine Sucht uns daran hindert, eine Entscheidung umzusetzen. Doch das (so glauben wir zumindest) sind Ausnahmefälle. Rationalität ist eine notwendige Bedingung für Willensfreiheit: Wenn nicht Gründe, sondern Ängste, Zwänge und Süchte unsere Handlungen bestimmen, dann sind wir nicht mehr "Herr unserer selbst", wir sind "unfrei". Alles, was unsere Rationalität untergräbt, gefährdet also auch unsere Willensfreiheit.

Aber wie kann der Mensch Rationalität besitzen, wenn er nichts weiter ist als ein komplexer physischer Mechanismus, der (wie alle anderen Gegenstände) vollständig den Naturgesetzen unterworfen ist? Wie kann man von jemandem sagen, er handle "aus Gründen", wenn seine Körperbewegungen durch das Feuern von Neuronen verursacht werden? (Die Gefahr scheint hier, wie man sieht, eher vom Naturalismus als vom Determinismus auszugehen.) Diese Fragen werden noch drängender, wenn man sie durch die Analogie der Grabwespe Sphex ichneumoneus veranschaulicht:

"Wenn die Zeit der Eiablage kommt, gräbt Sphex eine Höhle und sucht dann eine Grille, die sie mit ihrem Stich lähmt. Sie zieht die Grille in die Höhle, legt ihre Eier daneben, schließt die Höhle von außen und fliegt davon. Einige Zeit später schlüpfen die Wespenlarven, und ernähren sich von der gelähmten Grille, die ihre Mutter ihnen zurückgelassen hat. Dies alles erweckt den Eindruck, als handle die Sphex vernünftig und zielgerichtet. Doch folgendes Experiment lässt Zweifel daran aufkommen. Normalerweise geht die Sphex so vor: Nachdem sie die Grille gelähmt hat, bringt sie sie vor die Höhle, lässt sie dort liegen, kriecht in die Höhle und überprüft, ob alles in Ordnung ist, und zieht die Grille erst dann in die Höhle hinein. Wenn man nun, während die Sphex in der Höhle ist, die Grille nimmt und einige Zentimeter entfernt hinlegt, wiederholt sich das Spiel: Die Sphex bringt die Grille vor die Höhle, lässt sie dort liegen, kriecht in die Höhle, und so weiter. Dies kann man beliebig oft wiederholen: das Verhalten der Sphex bleibt immer dasselbe." (Dennett 1984, 11)

Das Ergebnis dieser Beobachtung scheint nämlich zu sein: Die Sphex scheint in ihrem Handeln durch (gute) Gründe bestimmt, handelt aber in Wirklichkeit "rein mechanisch". Zwischen rationalem und "mechanischem" Handeln scheint also ein Gegensatz zu bestehen. Wenn unsere Handlungen vollständig kausal erklärbar sind, sind wir nicht "wirklich" rational, sondern "imitieren" Rationalität höchstens. So entsteht die "fear of sphexishness" – die Befürchtung, wir seien (zu einem gewissen Grade) auch "sphexisch" (Dennett 1984, 12).

Wer so argumentiert, übersieht laut Dennett, dass es signifikante Unterschiede zwischen uns und der Sphex gibt. Ein erster Punkt ist unsere Lernfähigkeit: Unser Verhalten ist nicht "vorprogrammiert" wie das der Sphex; es wird durch die Erfahrungen, die wir machen, verändert, und zwar meistens zu unserem Vorteil. Ein Kind, das einmal auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach kein zweites Mal tun. Diese Art von Lernfähigkeit haben wir mit den höheren Tieren – z.B. Vögeln, anderen Säugetieren – gemeinsam. Noch größeres Gewicht legt Dennett auf einen zweiten Unterschied: Menschen haben die Fähigkeit zur Selbstreflexion; sie können über ihre eigenen Ziele und Handlungen nachdenken, und sich z.B. die Frage stellen, ob ihre Handlungen tatsächlich zur Realisierung ihrer Ziele beitragen. Auf diese Weise können sie aus unproduktiven Wiederholungsschleifen (wie derjenigen, in der die Sphex gefangen ist) ausbrechen (Dennett 1984, 29f.).

Können mechanistische Systeme über Lernfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion verfügen? Dennett gesteht zu, dass er nicht beweisen kann, dass dies möglich ist, aber er sieht keinen Grund, daran zu zweifeln. Mehr noch: Seiner Ansicht nach haben wir gute Gründe anzunehmen, dass wir selbst solche Systeme sind. Das würde bedeuten, dass wir uns letzlich "nur" dadurch von der Sphex unterscheiden, dass die Mechanismen, die unser Verhalten steuern, sehr viel komplexer (und flexibler) sind als die Steuermechanismen der Sphex – ein "prinzipieller" Unterschied würde nicht bestehen. Das erscheint vielen Theoretikern unannehmbar. Sie glauben, dass der Mensch vollkommen "unsphexisch" sein muss, um als rational gelten zu können. Dennett dagegen hält dies für unbegründeten "Absolutismus". Der Unterschied zwischen uns und der Sphex ist nach Dennett graduell – aber er ist so groß, dass die "Furcht vor Sphexishness" unbegründet ist. Das Unattraktive an der Sphex ist nicht die Tatsache, dass ihr Verhalten verursacht wird, sondern dass es auf so simple Weise verursacht wird.

b) Kontrolle, Autonomie und moralische Verantwortlichkeit

So wie Rationalität ist auch Kontrolle eine notwendige Bedingung für Freiheit. Wir sind nur frei, wenn wir unsere Handlungen und Entscheidungen selbst in der Hand haben. Aber wie kann ich meine Handlungen und Entscheidungen selbst in der Hand haben, wenn Bedingungen vor meiner Geburt festlegen, was ich tue und wie ich mich entscheide? Analoge Fragen stellen sich in Bezug auf meinen Charakter: Wenn die Vergangenheit bestimmt, was für ein Mensch ich bin (d.h. welche Ziele, Werte, Dispositionen, etc. ich habe), wie kann ich mich dann noch als autonomes, moralisch verantwortliches Individuum verstehen?

Auch hinter diesen Problemen stehen Dennett zufolge bestimmte "Intuitionspumpen". Nehmen wir etwa den Fall, in dem ein ruchloser Neurochirurg die Wünsche und Ziele einer Person durch einen direkten operativen Eingriff in ihr Gehirn manipulativ verändert. Nach der Operation fühlt sich diese Person in keiner Weise eingeschränkt – dennoch würden wir sie nicht als frei oder autonom bezeichnen, da sie von den Wünschen und Zielen gelenkt wird, die der Neurochirurg geschaffen hat. Oder nehmen wir den Fall, in dem ein noch mächtigerer Manipulator die äußeren Umstände, die unser Leben beeinflussen, verändert und so (dank seines großen Wissens über die menschliche Psyche) genau die Wünsche in uns erzeugt, die er erzeugen will (vgl. Dennett 1984, 9f.). In beiden Fällen werden die Personen, um dies geht, von außen kontrolliert; sie kontrollieren sich nicht selbst. Und ist es nicht dasselbe, wenn unsere Wünsche und Ziele nicht auf einen ruchlosen Neurochirurgen oder einen mächtigen Manipulator, sondern auf Ereignisse vor unserer Geburt zurückgehen, auf die wir keinerlei Einfluss haben? Dennett ist anderer Meinung.

Zunächst analysiert er den Begriff der "Kontrolle" und entwickelt dabei folgende Definition: A kontrolliert B (vollständig) genau dann, wenn für jeden möglich Zustand von B gilt, dass A B in diesen Zustand versetzen kann, wenn A dies will (Dennett 1984, 52). Das bedeutet, dass ein "Kontrollierer" – nach unserem gewöhnlichen Begriff von Kontrolle – über Wünsche (oder zumindest so etwas Ähnliches wie Wünsche) verfügen muss. Wenn davon gesprochen wird, dass wir von Umständen in der Vergangenheit "kontrolliert" werden, so ist das daher irreführend: Es suggeriert, das diese Umstände eine Art Akteur darstellen, ein Wesen, dass uns nach seinen Wünschen formt und lenkt. Nun haben wir mit Recht eine (instinktive) Abneigung dagegen, von anderen Akteuren kontrolliert zu werden, denn wir können davon ausgehen, dass diese Akteure uns für ihre Interessen (die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit unseren decken) missbrauchen würden. Doch für die "Umstände in der Vergangenheit" gilt nichts Analoges; daher – so Dennett – ist es ungerechtfertigt, unsere Abneigung gegen Kontrolle (durch andere Akteure) auszuweiten zu einer Abneigung gegen Determination im Allgemeinen.

Aber Kontrolle über unserer Handlungen und Entscheidungen ist nicht alles. Wir möchten auch in dem Sinne autonom sein, dass wir unseren Charakter und unsere Wünsche und Ziele selbst bestimmen. Und wie soll das in einer deterministischen Welt möglich sein? Auch hier ist Dennett optimistisch, und eine zentrale Rolle in seiner Antwort auf diese Frage spielt wieder die Fähigkeit zur Selbstreflektion. Wir können (im Unterschied zu Tieren) über unsere eigenen Wünsche und Ziele und auch über unsere Charakterzüge nachdenken, und wir haben auch die Fähigkeit, sie zu bewerten und zu revidieren. Ich kann mich z.B. fragen: Sollte ich meine grundlegenden Projekte und Ziele so abändern, dass ihre Realisierungschancen größer sind? Ist eine bestimmte Vorgehensweise meinen Zielen zuträglicher als die Art und Weise, wie ich gegenwärtig vorgehe? Wie sollte ich (im Allgemeinen) mit Risiko umgehen? Und so weiter. Aufgrund solcher Überlegungen kann ich dann Entscheidungen treffen, mit denen ich selbst meinen Charakter verändere.

Dass diese Entscheidungen determiniert sind, ist nach Dennett kein Problem. Wir erschaffen uns nicht "aus dem Nichts"; jeder von uns beginnt seinen Entwicklungsprozess mit Wünschen und Charaktereigenschaften, "für die er nichts kann". Doch das hindert uns nicht daran, im Laufe der Zeit zu Menschen zu werden, die für ihren Charakter selbst verantwortlich sind. Ein vollständig selbst-geschaffenes Selbst (wie es der "Absolutist" sich wünscht) ist unmöglich, aber wir haben keinen Grund, dies zu bedauern.

Bleibt das Problem der moralischen Verantwortlichkeit. Die klassische Frage lautet: Kann es in einer deterministischen Welt Menschen geben, die (in bestimmten Situationen) für ihre Handlungen moralisch verantwortlich sind? Dennett schlägt vor, eine andere Frage zuerst zu behandeln: Ist es in einer deterministischen Welt sinnvoll (im Sinne von "vorteilhaft" oder "zweckmäßig"), bestimmte Menschen für ihre Handlungen verantwortlich zu machen (Dennett 1984, 163)? Um darauf eine Antwort geben zu können, müssen wir den Zweck identifizieren, den Zuschreibungen von Verantwortung haben. Nach Dennett besteht dieser Zweck (in erster Linie) darin, Sanktionen vorzubereiten: Wenn wir jemanden für eine Handlung (bzw. die Folgen einer Handlung) verantwortlich machen, dann sagen wir damit, dass diese Person bestimmte Sanktionen verdient hat. Die wichtigste Art von Sanktionen (die auch bei Dennett im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht) sind Strafen. Kann es in einer deterministischen Welt sinnvoll sein, Menschen zu bestrafen? Ja, so Dennett. Denn Strafen können (wenn sie in einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen eingebettet sind) abschreckend wirken, und so das Verhalten von Menschen in positiver Weise verändern (sie z.B. von Rauben, Morden und Plündern abhalten). Diese Wirkung haben Strafen unabhängig davon, ob der Determinismus gilt. Also kann die Praxis des Strafens auch in einer deterministischen Welt sinnvoll sein und damit auch die Praxis der Zuschreibung moralischer Verantwortlichkeit. Doch was hat das alles mit der Frage zu tun, ob moralische Verantwortlichkeit wirklich existiert, d.h. ob es Menschen gibt, die für ihre Handlungen tatsächlich verantwortlich sind? – Dennetts Argumentation nimmt hier eine überraschende Wendung: Wenn es sinnvoll ist (wenn es "sich auszahlt"), Menschen als moralisch verantwortliche Personen zu behandeln, dann ist das hinreichend dafür, dass moralische Verantwortlichkeit wirklich existiert! (Dennett 1984, 158; vgl. hier zu auch unten den Punkt Dennetts Position)

c) Handlungsalternativen

Freiheit scheint schließlich vorauszusetzen, dass es in unserer Macht steht, auch anders zu handeln, dass wir also über Handlungsalternativen verfügen. Und auch dies scheint in einer deterministischen Welt unmöglich. Wenn determiniert ist, was ich tue, dann scheint es (gegeben die determinierenden Bedingungen) unmöglich, dass ich irgend etwas anderes tue. Dies legt den Schluss nahe, dass in einer deterministischen Welt keine echten Handlungsalternativen existieren können – und damit auch kein freier Wille.

Dennett reagiert auf dieses Argument, indem er verschiedene Sinne von "möglich" unterscheidet: einen strikten Sinn, in dem "möglich" gleichbedeutend ist mit "möglich unter genau denselben Umständen", und einen liberalen Sinn, in dem "möglich" so etwas bedeutet wie "möglich unter Umständen, die in relevanter Hinsicht gleich sind". (Dies ist eine vereinfachte Darstellung. Für eine präzise Formulierung von Dennetts Position vgl. Dennett/Taylor (2002), für eine populärere Version vgl. Dennett (2003), S. 63-95.) Nun ist es in einer deterministischen Welt im strikten Sinn unmöglich, dass Dinge geschehen, die de facto nicht geschehen. Anders sieht es mit Möglichkeiten im liberalen Sinn aus. Auch in deterministischen Welten können aus minimalen (und daher "irrelevanten") Variationen große Veränderungen entstehen. Der Determinismus schließt also nicht aus, dass Dinge, die nicht geschehen, im liberalen Sinne möglich sind.

Der liberale Sinn von "möglich" mag auf den ersten Blick suspekt erscheinen. Doch Dennett führt überzeugende Belege dafür an, dass wir das Wort tatsächlich oft in diesem Sinn verwenden. Betrachten wir z.B. einen Schachcomputer, der in einer schwierigen Situation einen Zufallsgenerator darüber entscheiden lässt, ob er rochieren oder nicht rochieren soll. Angenommen, der Computer rochiert. Dann können wir rückblickend sagen: "In dieser Situation hätte es sein können [= war es möglich], dass der Computer rochiert." ("Du hattest Glück, dass er es nicht getan hat.") Wir reden so, auch wenn wir wissen, dass "Zufallsgeneratoren" in Wirklichkeit deterministisch sind (d.h. dass sie die Zahlen, die sie ausgeben, nach einem vorgegebenen Algorithmus berechnen), und dass der Computer daher unter genau denselben Umständen immer denselben Zug ausführen würde. In diesem Zusammenhang verwenden wir "möglich" also offensichtlich im liberalen Sinn.

Reicht liberale Möglichkeit für Freiheit aus? Der Inkompatibilist behauptet: Nein. Aber was ist das Argument für diese Behauptung? Der Inkompatibilist hat, so Dennett, hier die Beweislast. Er muss zeigen, dass wir "strikte Alternativen" meinen, wenn wir von "Alternativen" reden, und vor allem muss er einen Grund finden, warum wir ein Interesse an "strikten Alternativen" haben sollten. Solange dies nicht geleistet worden ist (und Dennett glaubt selbstverständlich nicht, dass es geleistet werden kann), ist der Kompatibilismus nicht in Gefahr.

[Anmerkung: Dennett verteidigt die Realität von Alternativen nicht deshalb, weil er moralische Verantwortlichkeit retten will, wie man vielleicht meinen könnte. Denn die geläufige These, dass ein Akteur nur dann für eine Handlung verantwortlich ist, wenn er "anders hätte handeln können", wird von Dennett abgelehnt (Vgl. Dennett 1984, 131ff.).]

Dennetts Position

Dennetts Strategie ist es, jedes der vielen Probleme (die zusammen "das Problem der Willensfreiheit" genannt werden) für sich aufzulösen. Dabei entwickelt er en passant eine eigene Theorie des freien Willens, die hier noch einmal kurz zusammengefasst werden soll.

Dennett ist Kompatibilist. Die Art von Willensfreiheit, die wirklich erstrebenswert ist, kann seiner Meinung mit dem Determinismus und (noch wichtiger) mit dem Naturalismus in Einklang gebracht werden. Nur ein "absoluter" freier Wille, der vollkommene Rationalität, vollständige Selbst-Erschaffung und Ähnliches voraussetzt, kann in einer deterministischen, durchgehend von Naturgesetzen beherrschten Welt nicht existieren. Wir haben jedoch keinen Grund, dies zu bedauern.

Wann haben wir einen freien Willen? Dennett nennt dafür vor allem zwei Bedingungen: (1) Rationalität und (2) die Fähigkeit zu Selbstkontrolle und Selbstreflexion (vgl. Dennett 1984, 168). Genauer: Genug Rationalität, und eine hinreichend ausgeprägte Fähigkeit zu Selbstkontrolle und Selbstreflexion. Wer diese beiden Bedingungen erfüllt, kann nach Dennett als Besitzer eines "freien Willens" angesehen werden. Doch was heißt "genug" und "hinreichend" in diesem Zusammenhang? Wie rational beispielsweise muss ich sein, um einen freien Willen besitzen zu können? (Warum – so könnte der "Absolutist" fragen – ist nicht erst vollkommene Rationalität "genug" Rationalität?)

An dieser Stelle kommt Dennetts Pragmatismus ins Spiel. Ein Akteur hat genau dann "genug" Rationalität, Selbstkontrolle etc. für Willensfreiheit, wenn es "sich auszahlt", ihm gegenüber die personale Einstellung einzunehmen, d.h. wenn es "vorteilhaft" ist, ihn als Person zu behandeln – als jemanden, der einen freien Willen hat und der für seine Handlungen moralisch verantwortlich ist. (Was es bedeutet, dass es "sich auszahlt" oder "vorteilhaft ist", jemanden als Person zu behandeln, wird durch die Diskussion um moralische Verantwortlichkeit und Strafe oben im Abschnitt Kontrolle, Autonomie und moralische Verantwortlichkeit illustriert.)

Ob man eine personale Einstellung gegenüber einem Akteur einnimmt, ist eine pragmatische Frage, die nicht allein durch Argumentation entschieden werden kann; nicht nur die Eigenschaften des Akteurs, auch unsere Interessen spielen dabei eine wichtige Rolle (z.B. unser Interesse an erfolgreicher Interaktion mit dem Akteur). Festzuhalten ist aber: Wir können gegenüber anderen Akteuren (sofern sie über ein Mindestmaß an Rationalität, Selbstkontrolle etc. verfügen) eine personale Einstellung einnehmen, und diese Möglichkeit wird nicht dadurch untergraben, dass wir auch eine physikalische Einstellung gegenüber denselben Akteuren einnehmen können, d.h. in der Lage sind, sie als physikalische Mechanismen zu betrachten (was wir z.B. dann tun, wenn wir Naturwissenschaft betreiben).

Literatur

© Peter Schulte
Letzte Bearbeitung: 2005-02-25 23:00:00