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Akteurskausalität

Inkompatibilisten sind der Auffassung, dass Freiheit und Determinismus unvereinbar sind. In ihrem Wollen kann eine Person nur frei sein, wenn ihre Entscheidungen nicht durch vorhergehende Ereignisse kausal determiniert sind, auf die die Person selbst keinen Einfluss hat. Aber: Wenn ich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Wahl zwischen zwei Handlungen A und B habe, wenn also – dem Inkompatibilisten gemäß – zu diesem Zeitpunkt nicht kausal determiniert ist, dass ich mich für A bzw. für B entscheide, würden wir trotzdem nicht von einer freien Entscheidung reden, wenn es reiner Zufall wäre, dass ich mich in dieser Situation, sagen wir, für die Handlung A entscheide. Freiheit setzt in den Augen der meisten Inkompatibilisten nicht nur voraus, dass meine Entscheidungen nicht naturgesetzlich determiniert sind, sondern auch, dass diese Entscheidungen nicht rein zufällig passieren.

"Das metaphysische Problem der menschlichen Freiheit kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: 'Menschliche Wesen sind verantwortliche Handelnde; aber diese Tatsache scheint einer deterministischen Sicht des Handelns zu widerstreiten – der Sicht, daß jedes Ereignis, das zu einer Handlung gehört, durch ein anderes Ereignis verursacht ist. Und sie scheint auch der Sicht zu widerstreiten, daß einige der Ereignisse, die für die Handlung wesentlich sind, überhaupt nicht verursacht sind.'" (Chisholm 1964, 71)

Aber wie kann es für den Inkompatibilisten dann überhaupt Freiheit geben? Viele meinen mit Chisholm, dass sich dieses Problem nur lösen lässt, wenn "wir einige weitreichende Annahmen über das Selbst oder den Handelnden machen – über den Menschen, der die Handlung vollzieht" (ebd.)

"Wir dürfen […] nicht sagen, daß jedes Ereignis, das zu der Handlung gehört, durch ein anderes Ereignis verursacht ist. Und wir dürfen nicht sagen, daß einige der Ereignisse, die für die Handlung wesentlich sind, überhaupt nicht verursacht sind. Die Möglichkeit, die also bleibt, ist diese: Wir sollten sagen, daß mindestens eines der Ereignisse, die an der Handlung beteiligt sind, nicht durch irgendwelche anderen Ereignisse, sondern statt dessen durch etwas anderes verursacht ist. Und dies andere kann nur der Handelnde sein – der Mensch." (Chisholm 1964, 76)

Das Freiheitsbild vieler Inkompatibilisten sieht also so aus: Freiheit kann es nur geben, wenn es neben dem Verursachtsein durch andere Ereignisse und dem bloßen Zufall noch etwas Drittes gibt – das Verursachtsein durch die Person selbst. Freiheit setzt voraus, dass es neben der "normalen" Ereigniskausalität noch eine andere Art von Kausalität gibt – Akteurskausalität. Frei ist in ihren Augen eine Handlung (oder Entscheidung) dann, wenn sie (a) zwar verursacht ist, aber nicht durch andere Ereignisse, sondern durch die Person selbst und wenn (b) die Tatsache, dass die Person diese Handlung (oder Entscheidung) verursacht, selbst nicht wieder durch andere Ereignisse kausal determiniert ist.

Ereigniskausalität und Akteurskausalität

Normalerweise sprechen wir von Kausalität, wenn ein Ereignis (mehrere Ereignisse) ein anderes notwendigerweise nach sich zieht (ziehen): Die Kanne zerbrach, weil sie von einem herabfallenden Stein getroffen wurde; das Haus geriet in Brand, weil es im Keller einen Kurzschluss gab. Hier haben wir es jeweils mit zwei Ereignissen zu tun – dem Herabfallen des Steines und dem Zerbrechen der Kanne bzw. dem Kurzschluss im Keller und dem Brand des Hauses. Und jeweils war das erste Ereignis die Ursache des zweiten. Das Herabfallen des Steines war die die Ursache für das Zerbrechen der Kanne. Und der Kurzschluss im Keller war die die Ursache für den Brand des Hauses. Mit dieser Art von Ereigniskausalität sind wir wohl vertraut. Allerdings reden wir auch häufig so, als würden Ereignisse durch Dinge verursacht.

Gibt es neben Ereigniskausalität also auch noch eine zweite Art von Kausalität – Akteurskausalität oder Substanzkausalität oder, wie manche sagen, Agenskausalität? (Wer statt dessen von Agentenkausalität spricht, gehört eingesperrt.) Die angeführten Beispiele stützen diese Annahme nicht. Denn die meisten sind sich einig, dass es sich hier nur um verkürzte Redeweisen handelt. Was wir mit diesen Sätzen eigentlich meinen, ist, dass ein Ereignis, in das das entsprechende Ding oder Tier und die entsprechende Person verwickelt war, eine bestimmte Wirkung hervorbrachte.

Allerdings gibt es in den Augen mancher Philosophen – etwa Chisholm – neben diesen Fällen unechter auch Fälle echter Akteurskausalität – Fälle, in denen ein Ereignis tatsächlich nicht durch andere Ereignisse, sondern durch eine handelnde Person verursacht wird. Und zwar direkt. Ich kann ein Ereignis hervorbringen, indem ich etwas tue, was seinerseits dieses Ereignis verursacht. Ich mache das Licht an, indem ich den Schalter betätige. Ich betätigt den Schalter, indem ich eine bestimmte Handbewegung ausführe. Aber diese Handbewegung selbst (oder vielleicht den neuronalen Vorgang, der zu dieser Handbewegung führt) verursache ich direkt – ohne etwas anderes zu tun, was sie (ihn) kausal hervorruft.

Echte Akteurskausalität besteht darin, dass ein handelndes Wesen ein Ereignis direkt verursacht – d.h., ohne etwas anderes zu tun, was dieses Ereignis seinerseits kausal hervorbringt.

Kritik am Konzept der Akteurskausalität

Verständlichkeit

Viele haben die Frage gestellt, ob der Begriff der Akteurskausalität überhaupt verständlich ist. Diese Frage mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Unsere täglich Erfahrung zeigt doch, dass wir sehr häufig in der Lage sind, von uns aus Ereignisse in Gang zu setzen. Und was ist das anderes als Akteurskausalität? Bei näherem Hinsehen stellen sich aber sofort erste Zweifel ein. Was meinen wir überhaupt damit, wenn wir sagen, dass eine Person ein Ereignis direkt verursacht? Sicher, auch beim Begriff der Ereigniskausalität kann man diese Frage stellen. Und haben wir da eine befriedigende Antwort? Am klarsten werden die Probleme, wenn man sie in die folgenden beiden Fragen kleidet:

  1. Was ist der Unterschied zwischen dem Fall, dass erst das Ereignis A und dann das Ereignis B stattfindet, und dem Fall, dass A B verursacht?
  2. Was ist der Unterschied zwischen dem Fall, dass die Handlung X einfach nur stattfindet, und dem Fall, dass der Handelnde X verursacht?

Manche sagen, dass die Begriffe der Ereignis- und der Akteurskausalität nicht weiter analysierbar sind und dass die Antworten auf diese Fragen daher nur trivial sein können: Der Unterschied besteht einfach darin, dass im zweiten Fall A B bzw. der Handelnde X verursacht – punktum. Aber diese Position ist unbefriedigend. Zumindest beim Begriff der Ereigniskausalität lässt sich durchaus mehr sagen. Erstens ist immer wieder der Zusammenhang zwischen Verursachungsbeziehungen und Gesetzesaussagen betont worden. Dass A die Ursache von B ist, setzt voraus, dass das Gesetz "Auf As folgen (immer) Bs" wahr ist. Und Entsprechendes gilt für den Zusammenhang zwischen Verursachungsbeziehungen und dem Bestehen konditionaler Abhängigkeiten. Dass A die Ursache von B ist, kann nur wahr sein, wenn B nicht stattgefunden hätte, wenn A nicht der Fall gewesen wäre. (Zumindest gilt dies bis auf wenige Ausnahmen.) Auf jeden Fall gibt es also Zusammenhänge zwischen Verursachungsbehauptungen (im ereigniskausalen Sinn) und der Wahrheit anderer Sätze, die dafür sorgen, dass der Begriff der Ereigniskausalität nicht völlig leer ist. Außerdem gibt es auch noch ein pragmatisches Kritierium: Wenn A die Ursache von B ist, kann ich B herbeiführen, indem ich dafür sorge, dass A der Fall ist. Zusammenhänge dieser Art scheint es beim Begriff der Akteurskausalität aber nicht zu geben. Und deshalb ist dieser Begriff so rätselhaft.

Mit diesem Punkt hängt ein zweiter eng zusammen. Wenn A im ereigniskausalen Sinn die Ursache von B ist, ist damit nicht nur das Auftreten von B, sondern auch der Zeitpunkt des Auftretens von B erklärt. B findet zu diesem und zu keinem anderen Zeitpunkt statt, weil A zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt stattgefunden hat. Wenn eine Person akteurskausal die Handlung X verursacht, gibt es aber nichts, das den Zeitpunkt des Auftretens von H erklären könnte. Denn die Person ist die ganze Zeit dieselbe. Und wenn man versucht, dieses Problem durch die Annahme aus der Welt zu schaffen, dass die Person gerade zu diesem und zu keinem anderen Zeitpunkt eine bestimmte Eigenschaft hatte oder etwas Bestimmtes gedacht, gewünscht oder getan hat, kommt man in die Gefahr, Akteurskausalität auf Ereigniskausalität zurückzuführen.

Erklärbarkeit durch Gründe

Es ist kaum vorstellbar, dass jemand für eine Entscheidung oder Handlung verantwortlich gemacht werden kann, die in dem Sinne irrational ist, dass sie nicht durch Verweis auf Gründe erklärt werden kann. Doch genau dies scheint bei akteurskausal hervorgebrachten Handlungen der Fall zu sein. Eine Handlung durch Gründe zu erklären, heißt nämlich in den Augen der meisten, sie auf die Überzeugungen und Wünsche des Handelnden zurückzuführen. Wir kennen die Gründe des Handelnden, wenn wir wissen, dass er eine Einladung ins Kino abgelehnt hat, weil er noch einen Vortrag für den nächsten Tag fertigstellen wollte und wusste, dass er dies nicht schaffen würde, wenn er statt zu arbeiten ins Kino ginge. Aber wie können die Überzeugungen und Wünsche des Handelnden seine Entscheidungen oder Handlungen erklären, wenn diese kausal gar nicht auf diese Überzeugungen und Wünsche, sondern auf den Handelnden selbst zurückgehen?

Man kann sich das Problem auch noch auf andere Weise klar machen. In einer bestimmten Situation hat der Handelnde Gründe sowohl für A als auch für B. Er würde gerne in den Film gehen, den er immer schon einmal sehen wollte; aber er möchte auch seinen Vortrag fertigstellen. In dieser Situation sind es dem akteurskausalen Ansatz zufolge nicht diese Gründe und auch nicht das Gewicht der Gründe, die bestimmen, wie sich der Handelnde entscheidet. Dies ist vielmehr allein er selbst. Der Handelnde trifft mit seiner Entscheidung also eine Wahl zwischen Gründen; er gewichtet entweder die Gründe für A höher oder die für B. Für diese Wahl selbst hat er aber keine Gründe. Sie erfolgt offenbar ganz und gar willkürlich.

Zufälligkeit

Für das Konzept der Akteurskausalität spricht in erster Linie, dass es einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Determiniertheit und Zufälligkeit zu bieten scheint. Laurence BonJour (1976) und Peter van Inwagen (2002) haben aber argumentiert, dass dies nicht stimmt. Stellen wir uns Folgendes vor: Eine Person kommt in eine Situation, in der sie Gründe sowohl für A als auch für B hat. Tatsächlich entscheidet sie sich im akteurskausalen Sinne für A. Was passiert aber, wenn wir (oder ein allmächtiges Wesen) die Situation immer wieder zurückdrehen bis zum Punkt der Entscheidung? Nichts hat sich verändert – die Umstände sind dieselben, die Person ist dieselbe und auch an den Gründen hat sich nichts geändert. Wie wird sich die Person entscheiden? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Erstens kann es sein, dass sich die Person immer wieder für A entscheidet. Doch was spricht dann noch gegen die Annahme, dass die Entscheidung durch die Umstände (inkl. der Gründe der Person) determiniert ist? Oder die Person entscheidet sich in einigen Fällen für A und in anderen Fällen für B. Wenn das so ist, ist ihre Entscheidung aber zufällig. Denn ein Ereignis ist genau dann zufällig, wenn es unter genau den gleichen Bedingungen manchmal passiert und manchmal nicht.

Empirische Befunde

Ein letzter Kritikpunkt schließlich ist eher empirischer Natur. Wenn es Akteurskausalität tatsächlich gibt, dann können Akteure entweder auch da kausal eingreifen, wo die Ereignisse ansonsten naturgesetzlich determiniert sind, oder nur da, wo es in den Naturgesetzen Indeterminiertheitslücken gibt. Im ersten Fall würden erstens die Naturgesetze nicht ausnahmslos gelten. Und zweitens müsste Akteurskausalität in diesem Fall empirisch nachweisbar sein. Für beides gibt es keinerlei empirische Anhaltspunkte. Weder haben sich empirisch belegte Abweichungen von den normalen Naturgesetzen nachweisen lassen, noch hat je jemand z.B. ein neuronales Phänomen beobachtet, das nur dadurch erklärt werden konnte, dass eine Person es akteurskausal hervorgerufen hat.

Wenn Akteurskausalität nur da zum Zuge kommen kann, wo es Indeterminiertheitslücken gibt, liegen die Dinge auch nicht besser. Zum einen stellt sich dann die Frage, ob die Wirkungen, die ein Akteur auf diese Weise hervorbringen kann, tatsächlich ausreichen, um makroskopische Phänomene wie die Bewegung einer Hand zustande zu bringen. (Wenn sich in einem Neuron ein einziges Atom auf eine bestimmte Weise verhält, hat das kaum einen Einfluss auf das Verhalten des gesamten Neurons. Und auch das Verhalten eines einzelnen Neurons hat in der Regel keinen Effekt auf das gesamte neuronal verursachte Verhalten. Wenn das so wäre, wäre das ganze System viel zu instabil.) Außerdem: Quantenphysikalische Phänomene mögen indeterminiert sein; aber auch für sie gelten gewisse Wahrscheinlichkeiten. Akteurskausale Eingriffe auf dieser Ebene müssten aber diese Wahrscheinlichkeiten verändern, und auch dafür gibt es keinerlei empirische Belege.

Literatur

© Ansgar Beckermann, Katrin Raschke
Letzte Bearbeitung: 2005-03-05 23:00:00