Philosophie verständlich

Startseite Glossar Impressum
Kane

Robert Kane (*1938)

Hauptwerke


Robert Kane hat eine sehr differenzierte Variante des Inkompatibilismus bzw. Libertarianismus entwickelt (vgl. besonders The Significance of Free Will). Kane geht davon aus, dass es nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Lesarten für den Begriff der Freiheit gibt, von denen viele mit dem Determinismus vereinbar sind. Aber, so fragt er sich: Gibt es nicht auch zumindest eine Art von Freiheit, die nicht mit dem Determinismus vereinbar ist und die außerdem eine wertvolle Art von Freiheit ist, eine Art von Freiheit, an der wir ein berechtigtes Interesse haben? (Diese beiden Fragen nennt Kane die Vereinbarkeits- und die Bedeutsamkeitsfrage.) Wenn man auf diese Fragen mit Ja antwortet, ist die Arbeit aber noch nicht getan. Denn dann stellen sich zwei weitere Fragen. Erstens die Verständlichkeitsfrage: Ist diese Art von Freiheit überhaupt kohärent und verständlich oder ist sie mysteriös und letztlich obskur? Und zweitens die Existenzfrage: Ist diese Art von Freiheit real, gibt es sie in der Welt, in der wir leben?

Kane zufolge gibt es in der Tat eine Art von Freiheit, die mit Determinismus nicht vereinbar ist und an der wir ein berechtigtes Interesse haben. Das entscheidende Stichwort lautet hier Letztverantwortlichkeit. Ein Handelnder ist für das Auftreten eines Ereignisses letztverantwortlich, wenn er

  1. in dem Sinne für das Ereignis persönlich verantwortlich ist, dass er freiwillig etwas getan (oder unterlassen) hat, was dafür verantwortlich war, dass das Ereignis eintrat, wobei er freiwillig auch etwas anderes hätte tun können, und wenn
  2. der Handelnde in genau diesem Sinne auch für alle kausalen Vorgänger seiner Handlung persönlich verantwortlich war.

Warum ist Letztverantwortlichkeit wichtig? Das liegt nach Kane u.a. an Schwierigkeiten, mit denen alternative Konzeptionen von Freiheit konfrontiert sind. Nach Harry Frankfurt etwa ist eine Entscheidung frei, wenn sie auf die Wünsche zurückgeht, von denen der Handelnde auch will, dass sie handlungswirksam werden. Dass dies nicht alles sein kann, zeigt sich nach Kane an einem Problem, das er als “verborgene Kontrolle, die nicht als Einschränkung empfunden wird” (“covert nonconstraining control”) bezeichnet. Meistens merken wir, wenn wir in unserer Freiheit eingeschränkt sind. Neben diesen Fällen gefühlter oder erkannter Unfreiheit gibt es aber auch Fälle, in denen wir uns unserer Unfreiheit nicht bewusst sind. Wenn wir aufgrund eines Befehls, der uns in Hypnose gegeben wurde, plötzlich unter den Tisch krabbeln, haben wir häufig gar nicht den Eindruck, unfrei zu sein. Wir bemerken gar nicht, dass uns jemand durch eine subtile Manipulation unserer Freiheit beraubt hat. Und dasselbe gilt z.B. für Fälle von Gehirnwäsche. Warum halten wir Handelnde, die auf diese Weise manipuliert werden, nicht für frei und verantwortlich? Kane zufolge liegt das daran, dass die Wünsche und Präferenzen dieser Handelnden nicht wirklich ihre Wünsche sind, dass sie den Handelnden vielmehr von Personen aufgezwungen werden, die sie manipulieren. Wirklich frei, so schließt er, kann eine Entscheidung nur sein, wenn sie nicht nur auf den Wünschen und Absichten des Handelnden beruht, sondern wenn auch diese Wünsche und Absichten selbst auf den Handelnden zurück gehen — kurz: wenn der Handelnde selbst die letzte Quelle und der Ursprung seiner eigenen Ziele und Absichten ist. Dies ist jedoch nichts anderes als Letztverantwortlichkeit.

Dass Freiheit im Sinne von Letztverantwortlichkeit nicht mit dem Determinismus vereinbar ist, ergibt sich aus einem Argument, das insbesondere Peter van Inwagens Überlegungen zum Freiheitsproblem zu Grunde liegt. Wenn der Determinismus wahr ist, dann gibt es für alle meine Handlungen hinreichende Ursachen, die vor meiner Geburt stattgefunden haben. Für diese Ursachen kann ich aber nicht persönlich verantwortlich sein, da sie offensichtlich nicht von meinem Handeln abhängen. Also sind wir, wenn der Determinismus wahr ist, niemals für unsere Handlungen letztverantwortlich.

Damit kommen wir zur Bedeutsamkeitsfrage, warum wir Freiheit im Sinne von Letztverantwortlichkeit erstrebenswert finden sollten, warum es für uns wichtig sein sollte, diese Art von Freiheit zu besitzen. Kane beantwortet sie in zwei Schritten. Zunächst weist er darauf hin, dass Letztverantwortlichkeit eine Voraussetzung für vieles zu sein scheint, das wir als wertvoll ansehen: Kreativität, Autonomie, Verdienst, moralische Verantwortlichkeit, Würde, Individualität, und anderes. Wir würden zum Beispiel, so Kane, einem Wissenschaftler die Entdeckung eines Medikaments nur dann als (echten) Verdienst anrechnen, wenn diese Entdeckung nicht vollständig durch externe (d.h. außerhalb der Person liegende) Umstände determiniert war. Kompatibilisten lehnen jedoch die Intuitionen ab, auf denen diese Argumentation basiert. Sie kritisieren die Begriffe von Kreativität, Autonomie, etc., die Letztverantwortlichkeit voraussetzen, als zu anspruchsvoll, und meinen, dass man all diese Phänomene auch kompatibilistisch analysieren kann. Kane geht deshalb noch einen Schritt weiter: Er versucht zu zeigen, dass der Wunsch nach ‘echter’ (inkompatibilistischer) Kreativität, Autonomie, etc. auf einem grundlegenderen Wunsch basiert (den vielleicht nicht alle, aber doch viele Menschen haben): dem Wunsch, ein “Selbst” zu sein, d.h. ein Wesen, das von seiner Umwelt (zu einem gewissen Grade) unabhängig ist, und das die Fähigkeit hat, seine Umwelt zu beeinflussen und zu verändern. Dieser Wunsch kann — so Kane — von den kompatibilistischen Surrogaten für Kreativität, Autonomie, etc. nicht befriedigt werden.

Aber ist Freiheit im Sinne von Letztverantwortlichkeit überhaupt verständlich? Wie könnte diese Art von Freiheit realisiert sein? Bei der Beantwortung dieser Frage geht Kane von der Prämisse aus, dass in dieser Welt alles mit rechten Dingen zugeht, dass alle Ereignisse also, wenn sie überhaupt eine Ursache haben, eine natürliche Ursache haben. Kane ist davon überzeugt, dass man zur Lösung des Freiheitsproblems nicht von der Annahme übernatürlicher Wesen ausgehen darf und auch nicht von der Annahme mysteriöser Arten der Verursachung wie etwa der Akteurskausalität. Freiheit im Sinne von Letztverantwortlichkeit ist in seinen Augen nur dann eine akzeptable Idee, wenn sie sich vollständig im Rahmen eines naturalistischen Weltbildes ausbuchstabieren lässt. Wie könnte das aussehen?

Kanes Kernthese lautet, dass eine Entscheidung genau dann frei ist, wenn sie auf einer bestimmten Art nicht determinierter neuronaler Prozesse beruht. Wenn eine Person eine Entscheidung treffen muss, dann wird sie überlegen und die Gründe abwägen. Kane geht davon aus, dass es sich bei diesem Prozess des Überlegens und Abwägens um einen natürlichen Prozess handelt — wahrscheinlich um einen Prozess, der neuronal realisiert ist. Die Frage ist also, unter welchen Bedingungen solche neuronalen Prozesse zu freien Entscheidungen führen. Hier kommt die Idee des deterministischen Chaos ins Spiel. In der Natur und auch im Gehirn gibt es chaotische Prozesse, d.h. Prozesse, bei denen kleinste Unterschiede in den Anfangsbedingungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Solche Prozesse könnten auch durch Quantenereignisse beeinflusst werden — sie nehmen einen bestimmten Verlauf, wenn ein Radiumatom in einem bestimmten Zeitraum zerfällt; und sie nehmen einen ganz anderen Verlauf, wenn das Atom in diesem Zeitraum nicht zerfällt. Kanes Argumentation beruht auf der Annahme, dass es sich bei den Entscheidungsprozessen, die zu freien Entscheidungen führen, tatsächlich um für Quantenereignisse sensitive chaotische, also um makroskopisch nicht determinierte neuronale Prozesse handelt. Wenn ich die Wahl zwischen zwei Handlungen A und B habe und wenn es für beide Handlungen gute Gründe gibt, wird ein solcher Prozess in Gang gesetzt. Und je nach dem, ob das Quantenereignis so oder so ausfällt, führt dieser Prozess zu der Entscheidung A bzw. zu der Entscheidung B.

Ist dies eine tragfähige Idee? Eines der Hautprobleme inkompatibilistischer Freiheitskonzeptionen beruht auf dem Vorwurf, nicht determinierte Entscheidungen seien ‘willkürlich’, ‘unberechenbar’, ‘zufällig’, ‘irrational’ und ‘unverständlich’. Kane meint, diesem Vorwurf ausweichen zu können. Grundlegend ist dabei seine Idee von pluraler willentlicher Kontrolle. Die Entscheidungen eines Handelnden unterliegen pluraler willentlicher Kontrolle, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. Der Handelnde muss — egal wofür er sich entscheidet — gute Gründe für seine Entscheidung haben.
  2. Die Entscheidung, die getroffen wird, muss willentlich sein. D.h., wenn sich der Handelnde für eine Handlung entscheidet, muss er sich für diese Handlung entscheiden wollen; und er muss die Entscheidung treffen, weil er sich für diese Handlung entscheiden will.
  3. Die Entscheidung muss seiner Kontrolle unterliegen; d.h., er müsste sich anders entscheiden können, wenn er sich anders entscheiden wollte.

Offenbar kann man eine Entscheidung nicht als ‘willkürlich’, ‘irrational’ und ‘unverständlich’ bezeichnen, wenn sie pluraler willentlicher Kontrolle unterliegt. Aber können die Bedingungen (a)-(c) in Kanes Modell wirklich erfüllt sein?

Kane selbst geht davon aus, dass die Bedingung (a) auf jeden Fall erfüllt ist, da neuronale Entscheidungsprozesse, wie er sie vor Augen hat, überhaupt erst beginnen, wenn der Handelnde vor verschiedenen Alternativen steht, für die jeweils gute Gründe sprechen. Ob die anderen beiden Bedingungen erfüllt sind, hängt allerdings davon ab, wann eine Entscheidung als willentlich angesehen werden kann. Auch hier ist Kane ganz eindeutig: Ein Handelnder will eine Entscheidung treffen, wenn die Gründe für diese Entscheidung stärker sind als alle Gründe, die für andere Entscheidungen sprechen. Aber wie kann eine Entscheidung dann plural rational sein? Wenn der Handelnde sich zwischen den Alternativen A und B entscheiden muss, dann sind die Gründe für eine dieser Alternativen — sagen wir Alternative A — die stärkeren Gründe. Und dann kann daher, wenn sich der Handelnde trotzdem für B entscheidet, diese Entscheidung nicht willentlich sein. Zumindest scheint es so.

Kane sieht das nicht so. Und er sieht es nicht so, weil er der Auffassung ist, dass vor der Entscheidung gar nicht feststeht, welche Gründe die stärkeren sind. Erste wenn sich der Handelnde für die Alternative A entscheidet, werden dadurch die Gründe, die für A sprechen, die stärkeren Gründe. Und wenn er sich für B entscheidet, macht er genau durch diese Entscheidung die Gründe für B zu den stärkeren Gründen. Egal wofür er sich entscheidet; der Handelnde wird immer die Entscheidung treffen, die er treffen will. Denn egal wofür er sich entscheidet; die Gründe, die für seine Entscheidung sprechen, werden immer die stärkeren Gründe sein. Aus demselben Grund ist auch die Bedingung (c) erfüllt. Wenn der Handelnde sich anders entscheiden will, wird er sich anders entscheiden. Denn er will sich ja nur anders entscheiden, wenn er sich auch tatsächlich anders entscheidet. Ohne Zweifel, das klingt alles sehr trickreich. Aber immerhin handelt es sich hier um einen äußerst interessanten Trick.

Was macht das gerade geschilderte Modell in den Augen Kanes so attraktiv? Ein erster Grund dafür ist sicher der folgende: Obwohl die Prozesse, die zu freien Entscheidungen führen, wesentlich ein Element der Indeterminiertheit enthalten, lassen sich unserer Entscheidungen in diesem Modell trotzdem intentional und rational erklären. Der Vorwurf, nicht determinierte Entscheidungen müssten ‘willkürlich’, ‘unberechenbar’, ‘zufällig’, ‘irrational’ und ‘unverständlich’ sein, trifft Kane zufolge auf sein Modell daher nicht zu.

Ein zweiter Grund ist aber noch wichtiger. Gerade weil die Prozesse, die zu freien Entscheidungen führen, wesentlich ein Element der Indeterminiertheit enthalten, werden unsere Entscheidungen weder durch äußere Umstände noch durch unsere Wünsche und Absichten determiniert. Es ist vielmehr genau umgekehrt. Durch unsere Entscheidungen beeinflussen wir diese Wünsche und Absichten. Manche machen wir stärker, andere schwächen wir ab. So, und nur so, lässt sich der Wunsch realisieren, der der Idee der Letztverantwortlichkeit zu Grunde liegt — der Wunsch, dass wir selbst die letzte Quelle und der Ursprung unserer eigenen Ziele und Absichten sein wollen.

Bleibt schließlich die Frage, ob Freiheit im Sinne Kanes in dieser Welt verwirklicht ist. Das ist eine Frage, die nach Kane letztlich nur empirisch zu beantworten ist. Nur die Neurobiologie kann uns sagen, ob in unserem Gehirn tatsächlich die Prozesse ablaufen, die für freie Entscheidungen notwendig sind, d.h. ob es die von Kane beschriebenen chaotischen Prozesse, die für Quantenereignisse sensitiv sind, wirklich gibt. Kane hält es angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes aber für wahrscheinlich, dass die Neurobiologie die besagten Prozesse finden wird (und er zitiert einige Arbeiten über neuronale Netze, Chaostheorie und Quantenphysik, um diese Ansicht zu stützen). Doch die endgültige Beantwortung der Existenzfrage bleibt den Naturwissenschaften überlassen.

Kritik

Kanes Modell stellt sicher eine äußerst interessante Variante des Inkompatibi-lismus bzw. Libertarianismus dar. Aber natürlich bleiben kritische Punkte.

1. Kane geht, wie gesagt, davon aus, dass in seinem Modell die Bedingung (b) für plurale willentliche Kontrolle erfüllt ist, weil erst nach der Entscheidung feststeht, welche Gründe die stärkeren Gründe sind. Aber die Bedingung (b) ist nicht schon dann erfüllt, wenn die getroffene Entscheidung die ist, die der Handelnde treffen wollte. Vielmehr muss er die Entscheidung getroffen haben, weil er sich für diese Handlung entscheiden wollte. Und wie soll dies in Kanes Modell möglich sein? Welche Entscheidung jemand treffen wollte, steht erst fest, nachdem er die Entscheidung getroffen hat. Aber kann man eine Entscheidung tatsächlich durch Bezugnahme auf einen Umstand erklären, der erst nach der Entscheidung eintrat?

2. Kane sagt, dass die getroffene Entscheidung nicht irrational war, weil sie pluraler willentlicher Kontrolle unterlag. Dies ist nach dem gerade Gesagten nicht ganz so klar, wie Kane meint. Darüber hinaus stellt er die Situation jedoch so dar, dass der Handelnde, wenn er sich entscheidet, eine Wahl zwischen Gründen trifft. Entscheidet er sich für A, bewertet er die Gründe für A höher, entscheidet er sich für B, bewertet er die Gründe für B höher. Für diese Wahl zwischen den Gründen für A und den Gründen für B hat der Handelnde aber keinerlei Gründe. Vielmehr hängt diese Wahl nur davon ab, wie das zentrale Quantenereignis ausfällt. Der Handelnde bewertet die Gründe für A höher, wenn das Radiumatom in einem bestimmten Zeitraum zerfällt, und er bewertet die Gründe für B höher, wenn das Atom in diesem Zeitraum nicht zerfällt. So gesehen, scheint die Entscheidung aber doch zufällig, irrational und unverständlich zu sein. Ja, sie scheint nicht einmal vom Handelnden, sondern nur vom zentralen Quantenereignis abzuhängen.

3. Für Kane ist inkompatibilistische Freiheit deshalb wertvoll, weil nur sie unserem Wunsche gerecht wird, die letzte Quelle und der Ursprung unserer eigenen Ziele und Absichten zu sein. Dass dieser Wunsch überhaupt kohärent ist, kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden (s. Haupttext, Abschnitt Letzturheberschaft).

Literatur

Die ausführlichste Darstellung der Kaneschen Theorie durch den Autor selbst findet sich in
The Significance of Free Will, New York/Oxford, Oxford University Press 1996.

© Ansgar Beckermann
Letzte Bearbeitung: 2005-02-25 23:00:00